Der […] Gottes

Egal, ob man Gott im Rücken oder vor der Flinte hat, zum Losschießen muss man ihn nicht besser kennen. Weil aber auch oder gerade der größte Spaß eine ernste Angelegenheit ist, seien hier einige semantische Überlegungen zum Titelthema erlaubt.

von Marc Hieronimus, 19.06.2013, 21:17 Uhr (Zwote Dekade, 1/2)

1. Das Problem

Es ist der #@%*! Gottes. Woraus wir ohne großen Logikzauber folgern dürfen:

1: Es gibt genau einen Gott.

2: Es gibt mindestens ein Ding namens #@%*!

3: Dieses Ding ist maskulin.

4: Gott hat/besitzt ein Ding namens #@%*!

Dies ist die restriktive Deutung des Genitivs als genitivus possessivus, z.B. der Hut Gottes. Liegt ein genitivus subjectivus vor, müssen wir verstehen:

4’: Gott kommt etwas zu namens #@%*! 

Hier drückt der Genitiv eine Subjekt-Prädikat-Beziehung aus, z.B. der Schlaf Gottes, der Verrat Gottes (Gott ist ein Verräter). Drittens ist auch eine Objekt-Prädikat-Beziehung denkbar (genitivus objectivus):

4’’: Gott ist Ziel, Mittel, Opfer von #@%*!

Das Beispiel der Verrat Gottes bedeutet in dieser Lesart: Gott wird verraten. Soweit ganz logisch, aber man erahnt bereits, wie unsauber die Alltagssprache ist, und warum Sprachlogiker so ein Bohei um Frege, Saussure, Boole, Pearce, Wittgenstein, Grice, Putnam und Konsorten machen. Wir glauben, mehrere Sprachen zu verstehen. Tatsächlich verstehen wir nicht einmal eine.

2. Die Begriffe

2.1. der

Gott, aber zum Beispiel auch #@%*!, Hund, Atomwaffensperrvertrag, Monsterdödel uvm. sind im Deutschen maskulin. In den USA kursierte in den Siebzigern ein Witz, in dem jemand gefragt wird, ob er/sie an Gott glaube („yes“) und wie er wohl aussehe – „Well, first of all I think she’s black.“ Im englischen Sprachraum ist so etwas möglich. Wir Deutschsprachigen denken Genus mit und können gar nicht anders, als es mit (biologischem) Geschlecht und (sozialem) Gender durcheinander zu bringen. Das wirkt sich aus. Man stelle sich nur einmal vor, dass die Sonne in den meisten Sprachen und Kulturkreisen männlich, der Mond aber weiblich konnotiert ist; die Mondlandung werden viele Menschen weniger als partnerschaftlichen Besuch denn als Eroberung wo nicht Vergewaltigung empfunden haben. Im hiesigen Kontext könnte „der“ zufällig sein, weckt aber ausgesprochen maskuline Assoziationen. (1)

2.2. #@%*!

Es ist eine gesellschaftliche bzw. literarische Konvention, #@%*! pejorativ zu verstehen. Das Unlesbare ist unsagbar. In Comics, aus denen die Formel stammt, bezeichnet es etwas Undruckbares, das jeder selbst mit Inhalten füllen kann, aber nicht nach Belieben. Aus dem Kontext ist immer schon klar, dass es sich um Flüche oder Beschimpfungen handelt, zur Unterstreichung wird oft noch eine geballte Faust, ein Totenkopf oder ein Hakenkreuz hinzugefügt. In der hiesigen Form ist es ein Art-Spiegelman-Zitat (Portrait of the artist as a young #@%*!), der wiederum James Joyces fast titelgleiche autobiographische Schrift zitiert hat, man ersetze nur #@%*! durch man. Ja, damit kann man ein paar billige Witze machen, die trotzdem nicht jeder versteht – Jenseits von #@%*! , Herr der #@%*!e, Garb und wie er die #@%*! sah, Per #@%*! durch die Galaxis… – und sich ein halbes Stündchen scheckig lachen. Dann wird das Leben wieder endlich und man wünscht sich einen Gott.

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Das Scutum Fidei, in dem sich Tautologie und Paradoxie in liebevoller Dreieinigkeit zusammenfinden. (Quelle: Wikipedia, PD)

2.3. Gott

Es ist sonderbar, wie sehr sich bei Gott fast alle einig sind. Auch wer nicht an ihn glaubt, glaubt zu wissen, woran er da nicht glaubt. Aber Gott hat kein Denotat. Wer etwas Derartiges (einen Derartigen) erleben will, muss entweder sterben und nicht wieder zurückkommen – alle Nahtoderfahrung ist ein Endorphinrausch mit dem biologischen Sinn, das ausweglose, todesnahe Tier nicht in art(genossen)gefährdende Panik zu versetzen – oder sich diesseitig in Bewusstseinssphären vorwagen, die sicher spannend, erstrebenswert, vielleicht sogar wissenschaftlich untersuchbar, aber gewiss nicht mehr sagbar sind. Man lese die Mystiker der monotheistischen oder egal welcher Religionen: Gott ist immer etwas nicht von dieser Welt und mit Worten unbeschreiblich. Darüber hinaus muss es (Gott) meist noch als Sinn-Joker für alles allgemein Unerklärliche herhalten, betreffe es nun Anfang, Lauf oder Ende der Welt. In diese Falle, die seit dem Nominalismusstreit entschärft sein könnte, nämlich Dingen/Wesenheiten eine Existenz zuzuschreiben, bloß weil es einen Namen für sie gibt, tappen selbst größte Geister. „Gott würfelt nicht“, hat Einstein gesagt, also gibt es Gott. Jedenfalls für ihn. Aber was der oder das nun sei, erklärt der Mann uns nicht. Eine Formel? Ein Prinzip? Auf diesen Gottesbegriff können sich die ärgsten Atheisten einigen. 

3. Vorläufige Klärung der Phrasenbedeutung

Das von jedem/r Denkenden mit nicht klar zu umreißenden, wenn auch nicht gänzlich beliebigen Inhalten gefüllte Konzept einer höheren, den Sinnen weitgehend unzugänglichen Wesenheit (Gott) sei singular und habe eine Eigenschaft, einen Gegenstand etc. oder sei Subjekt oder Objekt, in jedem Falle grammatisches Komplement nicht eines (im Deutschen stets neutralen) Verbs, aber eines mehr oder minder verbalen Ausdrucks (z.B. Spruch, Beweis); dieses X („#@%*!“) hat nach Fregescher Terminologie (2) Sinn (als Verständigungskonzept) und Bedeutung (als Denotation: die Gesamtheit der #@%*!e oder ein spezifischer #@%*! in der Welt), ist grammatisch (und unterschwellig „natürlich“) maskulin sowie tendenziell abwertend, darüberhinaus allerdings hier variabel. Die „Existenz“ Gottes und #@%*!s bleibt davon unbeschadet.

4. Butter bei die Fische

Sinn. Verrat. Arschkrebs. Tod. Untergang. Schlaf. Tod. Nagelpilz. Irrtum. Scheißhaufen. Ödipuskomplex. Hurensohn. Burn-out. Dark Room. Kleingeist. Pimmel. Hirnriss. Menschenhass. Samenstau. Einlauf… Wenn wir statt Gottes etwa Allahs oder gar des Propheten schrieben und die Medienmaschine darauf ansetzten, hätten wir die schönste Fatwa am #@%*! 

Nun, Propheten gab und gibt es wenigstens. Bei Gott ist das weit weniger sicher, und wenn es ihn (sie) nicht gibt, kann er-sie-es auch keinen #@%*! haben. Was wir von Gott (und seinem #@%*!) „wissen“ stammt aus dem ganz eigentümlichen Genre der Gottesliteratur, also aus der Feder von Propheten und Mystikern, mithin Menschen mit sehr speziellen, der Sprachlogik in beiden Richtungen verschlossenen Geisteszuständen – oder wir erleben es selbst, irgendwie, in Gemeinschaft, im Stillen… 

Wenn man von Gott und seinem #@%*! nicht rational sprechen kann, müssen wir noch lange nicht über die beiden schweigen. Gleich, welches Konstrukt dem einzelnen ein sinnvolles, bejahenswertes, friedliches, verantwortungsbewusstes und global verallgemeinerbares Leben ermöglicht, es ist besser als der taten-, hoffnungs-, arglose Kaninchenblick auf die Dampfwalze der kommenden Katastrophen.

Anmerkungen:

(1) Im Französischen gibt es ein wenig zitiertes Paradebeispiel für die Zufälligkeit des Genus: Der Penis wird vulgär mit „bite“ oder „queue“ bezeichnet, die beide feminin sind. In der aus dem sexuellen Kontext erschließbaren Kurzform heißt es also „nimm sie in den Mund“, „steck sie mir rein“ usw.

(2) Frege unterscheidet Sinn (der Gedanke hinter dem Wort, z.B. Morgenstern, Abendstern) von Bedeutung (das Ding in der Welt, hier die Venus). Der Sinn oder die Bedeutung [sic!] dieser Begrifflichkeit liegt in der Unterscheidung von abstrakt-kommunikativen Konzepten einerseits und der nicht unbedingt mit ihnen verknüpften Existenz von bezeichneten Dingen in der Welt. Ob es Gott nun „gibt“ oder nicht, wir geben dem Begriff einen Sinn. Gott ist in diesem Sinne [re-sic!] sinnvoll, aber bedeutungslos. Man würde das Gegenteil erwarten. Oder noch etwas anderes. 


Lichtwolf Nr. 42

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