…das sind die Geisteswissenschaften. Der fünfte und letzte Teil der Serie zur Kritik an den Geisteswissenschaften beschäftigt sich mit den philosophischen Entscheidungen, die das moderne Menschenbild prägen. Das wissenschaftliche Weltbild konkurriert mit den Menschenrechten. Die Geisteswissenschaften töten den Geist.
von Stefan Schulze Beiering, 20.09.2011, 20:22 Uhr (Neues Zeitalter)
ie Aufklärung schlug zwei Wege ein. Der eine ist die rechtliche Fixierung der menschlichen Würde, ein hoch idealistisches Vorhaben. Dieser Weg führte zur Erklärung der Menschenrechte und mündete in die moderne Verfassungswirklichkeit, die die Grundlage abgibt, um heute Politik zu machen, also die Gesellschaft zu gestalten. Ausgehend von den Menschenrechten werden heute Gesetze erlassen bis hin zur kleinsten Verwaltungsmaßnahme. Rückwärts kann ein Kläger bis in die Brunnen des Grundgesetzes tauchen, um eine Maßnahme abzuwehren.
Wie sehr die Menschenrechte unser Werturteil formen, zeigte die Diskussion um Thilo Sarrazin. Den einen stieß es widerlich auf, weil er offenbar die Gleichheit der Menschen nicht anerkennt und Türken abwertet. Den anderen gilt er als Held der Meinungsfreiheit, ein gleichfalls primäres Menschenrecht.
Die Menschenrechte strukturieren unser moralisches Empfinden. Sie sind die innere Ordnung, an der wir uns orientieren und stehen ähnlich fest wie früher die zehn Gebote. Sie sind gleichermaßen Postulat wie Rechtsgrundlage, also der ethisch-praktische Weg der Aufklärung.
Der andere Weg ist die Wissenschaft. Die Wissenschaft sollte den Menschen belehren, ihm die Welt zeigen. Hier ging es um die Sache und die Autonomie des Denkens. Das Ziel war und ist nichts weniger als die Entdeckung der Welt in all ihren Bausteinen und Gesetzen, die intelligible Durchdringung des Weltalls, des Lebens darin und dessen, was wir Geist nennen.
Die Wissenschaft ist also zweierlei, zuerst eine Entdeckungsreise, zugleich eine geistige Schule. In der Auseinandersetzung mit der Sache, im Formulieren von wissenschaftlichen Erkenntnissen bildet sich der menschliche Intellekt erst richtig aus.
Darum gelten Wissenschaftler als besonders kluge Menschen. Sie gelten auch als Hüter und Diener der Wahrheit. Ihre Ethik ist die der Autonomie. Sie arbeiten voraussetzungslos. Sie schauen und versuchen zu erklären. Oder sie erklären und versuchen, ihren Gedanken sichtbar, das heißt sinnlich erfahrbar zu machen und so zu belegen. Ihre Technik ist immer die Kombination von Phänomen und Aussage.
Wie die Menschenrechte unser moralisches Empfinden strukturieren, so die Wissenschaft unser Weltbild, unser geistiges Schauen. Der Gutmensch empfindet mit Amnesty International, der gehobene Intellekt orientiert sich an der Wissenschaft.
Wie sieht das wissenschaftliche Weltbild aus? Wir halten es für bewiesen, das ist das erste. Die Erde ist rund und sie kreist um die Sonne. Es gibt schwarze Löcher und Mikroben. Das Unterbewusstsein ist die treibende Kraft des Menschen.
Wir glauben diese Aussagen, weil sie uns beigebracht wurden und sie in unserer geistigen Umgebung selbstverständlich sind. Wir haben sie nicht selbst bewiesen, aber wir kennen Beweise, Photos aus dem Weltall zum Beispiel, oder haben uns überzeugen lassen, dass die Wissenschaft diese Dinge herausgefunden hat. Fachleute wie Ärzte sagen uns, was wir nicht richtig verstehen. Da wir das meiste nicht richtig verstehen, bleibt uns nur der Glaube, dass es so bewiesen ist.
Wenn die Wissenschaft also die Welt erforscht hat und daran selbst klüger geworden ist, wenn sie also die Aufklärung fortgesetzt hat und weiter fortsetzt, dann muss festgehalten werden, dass dem normalen Menschen diese Aufklärung vorenthalten bleibt, weil er sie nicht versteht und sie in vielen Dingen seine einzelne Auffassungsgabe übersteigt. Der Mensch ist ein glaubendes, vertrauendes Wesen geblieben. Er muss die Sätze annehmen, die ihm von den besonders klugen Menschen gesagt werden. Und darum glauben wir alle Dinge, die wir nie gesehen haben und nie überprüfen können.
Auch Wissenschaftler selbst entgehen nicht diesem Dilemma. Sie untersuchen nur ihren Ausschnitt der Wirklichkeit. Sie sind Spezialisten für Onkologie, Orientalistik oder Orthographie – das wissenschaftliche Weltbild müssen sie glauben, ohne es zu kennen.
So wie die Götter in den Religionen metaphysischer Natur sind, sind auch die Wesen, die im wissenschaftlichen Weltbild Lenkungsfunktion haben, übernatürlich, mindestens übersinnlich. Es weisen Zeichen auf sie hin, aber wir können sie nicht sehen oder anfassen.
Das gilt für die Evolution, jenen mächtigen Strom, der uns hervorgebracht hat. Darwin erklärte sich damit die vielfältigen Verwandtschaften und Varianten in der biologischen Welt. Bei uns ist die Evolution längst zum Erklärungsmuster für unser Verhalten und unsere Gefühle geworden. Sie überschritt damit die Grenze der reinen Körperlichkeit und unterwarf sich auch soziale und psychische Realitäten.
Gleiches gilt für die Chemie. Ursprünglich befasste sie sich mit der Zergliederung und Zusammensetzung von physischen Stoffen. Man fand die Elemente, die Atome, die subatomaren Teilchen. Nun wird die Chemie im Rahmen biologischer Prozesse für das menschliche Befinden verantwortlich gemacht. Alle Jahre wieder gibt es einen SPIEGEL- oder STERN-Titel zur Chemie der Liebe, Schlagzeile: Wie Forscher die Rezeptur der Liebe entschlüsseln. Oder: Moleküle und Enzyme – die Eltern des Begehrens.
Evolution und Biochemie haben in einem Akt der Befruchtung ein gemeinsames Kind gezeugt, das nun das wissenschaftliche Weltbild zentriert, das Gen. Das Gen ist der Motor der Evolution, eigentlich geht es nur um die Erhaltung eines genetischen Programms, einer Aminosäuresequenz. Diese schlaue Sequenz hat das ganze Theater an Lebensformen nur entworfen und lässt es fortwährend aufführen, um sich selbst in verschiedenen Rollen zu beklatschen. Auch der Mensch und sein besonderes Etwas, seine Kultur, Goethe, Mozart – alles muss sich vor dem Gen verneigen, denn schlussendlich hat nur das Gen etwas zu sagen. Nur wegen seiner Winzigkeit sind wir hier und so, wie wir sind. Biologisch gesehen ist der Rest von uns ein Popanz.
Wir glauben also an Evolution, an die Chemie und an Gene, nicht allein, um die physische Welt zu beschreiben, sondern als Anthropologie. Das ist die Lehre vom Menschen, sein Selbstbild in wissenschaftsphilosophischen Aussagen.
Mit Hilfe des biochemischen Denkens wurde endlich auch die Psychologie des Menschen geerdet und fundiert. Freud raunte noch mystische Vokabeln wie „Es“ und „Über-Ich“, inzwischen wissen wir, das sind nur Plaketten für die darunter tickenden Chronometer der Evolution.
Demnach ist das, was ursprünglich humanistisch gedacht wurde, das menschliche Sozialleben, seine Äußerungen in Kultur und Kunst, seine Religion, seine Sprache, seine psychische Innerlichkeit, alles das ist nicht primär, sondern ein sekundärer Ausdruck der Evolution. Es ist nicht selbst wirklich, sondern fremdgewirkt und ferngesteuert. Das gilt prinzipiell, auch wenn eine kulturelle Erscheinung nicht direkt auf die Evolution zurückgeführt werden kann, wie etwa eine musikalische Note. Die Note ist bereits unwirklich oder sekundär, weil die Naturwissenschaft darüber keine Informationen anbietet. Und hier kommt die Geisteswissenschaft ins Spiel.
Die Geisteswissenschaft beschäftigt sich mit dem schönen Schein der menschlichen Kultur und Psyche. Für sie ist der Geist substanzlos, sonst wäre sie keine Wissenschaft, sondern eine religiöse oder ideelle Haltung. Sie wäre nicht die Schwester der Naturwissenschaft, wenn sie nicht den gleichen Blickwinkel teilte. Der Geist kommt nicht von oben, noch bedeutet er in sich etwas Wertvolles, Gefühltes – das sind nur private Eindrücke. Der Geist ist eine Oberfläche, die es zu durchdringen gilt, um das Darunterliegende zu erkennen. Die akademischen Fächer nehmen sich die Oberfläche in Parzellen vor, parzellieren sie weiter und so kommt ein Geisteswissenschaftler an seine Filigranarbeit.
Im Großen und Groben bleibt ihm das, was allen bleibt, der Glaube an das wissenschaftliche Weltbild, das nun auch den Geist erobert. Er geht davon aus, dass der Geist des Menschen so wie die Natur erkennbar, also in Bestandteile zu gliedern ist. Also zerlegt er und sucht nach Regeln, wie der Geist funktioniert. Dadurch beweist er, dass der Geist kein Geist ist, sondern eine Struktur. Die geistigen Qualitäten des Geistes, seine Hoffnung, sein Gefühl, seine Werte, seine Bindung und Beziehung, werden abgehaucht und fortgewischt. Zurückbleibt die Leiche, die Struktur.
Photo: Michael Helming
Darüber müsste man als eigenes geistiges Wesen erschrecken, wenn nicht die gedankliche Autonomie der Wissenschaft vor der Übertragung dieser Philosophie auf das alltägliche Leben schützte. Zwar tut die Geisteswissenschaft so, als gebe es kein Gefühl, keinen Glauben und keine persönliche Färbung, aber sie tut dies im Rahmen ihrer akademischen Zirkel, ohne missionarischen Anspruch, die Gesellschaft zu erobern. Sie will auch nicht die private Psyche bestimmen, sie will einzig der Wissenschaftlichkeit frönen und ihren Gang der Erkenntnis fortsetzen, als Dienst an der Wahrheit.
Sie reist in entlegene und nahe Gewässer und beschreibt das Ufer aus dem gegebenen Abstand, lotet die Tiefen und Untiefen aus, aber sie geht nie ans Land der Lebenden. Wer sie kennenlernen will, muss zu ihr hinschwimmen. Da sieht nun tatsächlich alles anders aus. Der Boden schwankt, die Menschen sind in der Ferne klein und das Lot misst drei Faden.
So bleibt der aufgeklärte Mensch ein zweigeteiltes Wesen. Das eine ist ein subjektstarkes Bündel an Rechten, in sich gesetzt und austariert. Er kennt seinen Wert und bemisst danach das Leben in Gesellschaft.
Das andere Wesen glaubt an abstrakte Prozesse und Photonen, aber es hütet sich, darüber selbst nachzudenken, weil es die Sachen nicht versteht. Es glaubt an Strukturen und Modelle zur Erklärung, führt Autoritäten an und schaltet dafür seinen eigenen Standpunkt, seine Subjektivität aus.
Das eine Wesen führt sein Privatleben, pflegt Geselligkeit und familiäre Werte, Freundschaften und Aversionen. Es sucht Unterhaltung, lacht über Witze und kennt trübe Stimmungen.
Das andere Wesen teilt die Überzeugung, dass die Wissenschaft längst hinter die Fassaden des Selbst geblickt hat und dieses nur vordergründig ist, ohne existentielle Tiefe. Es glaubt an die unsichtbare Hand, die es steuert.
Das eine spricht sich aus und ereifert sich über Worte. Es vermag, Ideen zu folgen und sich für seine Überzeugungen einzusetzen. Es weiß, was ein Versprechen ist, und lässt sich von gut erzählten Geschichten bewegen. Es fühlt sich eingebunden und so richtig am Ort seiner sprachlichen Natur, dass es darüber keine Gedanken verliert.
Das andere schaut auf die Struktur der Sprache, nämlich die unzuverlässige Bildlichkeit, die mangelnde Faktizität, die Vieldeutigkeit, den manipulativen Effekt. Das wissenschaftliche Wesen befürchtet nicht, sondern hält es für eine Erkenntnis, dass ein Weltbild in Worten sinnlos ist. Es glaubt an die Unterlegenheit der Sprache gegenüber der Zahl und gegenüber den Tatsachen. Er versucht den sprachlichen Schaden durch Definitionen zu verringern. Er würde sich auf geklärte Begriffe verlassen, aber wer kann in Gesellschaft so reden?
Die Autonomie des wissenschaftlich geprägten Menschen schützt seine zweite, menschenwertige und soziale Natur. Denn wie könnte man den Wert der Meinungsfreiheit aufrecht erhalten, wenn man weiß, dass Meinungen hohl sind, wissenschaftlich betrachtet? Sie lassen sich soziologisch oder biologisch auflösen und stellen nur eine Farbschattierung im Licht dar, zufällig hingeworfen und so vergänglich wie der Moment, in dem sie scheinen.
Wie könnte man über Selbstbestimmung reden, wenn man den Menschen als getrieben sieht, als abhängig von vorkognitiven Prozessen. Die Willensfreiheit ist philosophisch ein Problem; also schwankt das Fundament der Demokratie.
Wie könnte man Beziehungen eingehen, wenn man sie als Folge des Fortpflanzungstriebes ansieht? Wie könnte man die Gleichheit aller Menschen annehmen, wenn man doch genau weiß, dass hier vollends eine ideelle Vorstellung vorliegt, nicht eine sichtbare Erscheinung oder nachgewiesene Erkenntnis. Wie kann man überhaupt Ideen anhängen, wenn man Idealität, also menschliche Geistigkeit nicht glaubt?
So lebt der moderne Mensch in zwei Welten, zwei Weltentwürfen. Die eine Welt korrespondiert seiner Sinnlichkeit, seiner Sprache, seiner Wahrnehmung, seiner Erfahrung, seiner Herkunft, seiner gesellschaftlichen Umwelt, seiner Moral. Die andere Welt bildet sich in seinem Kopf aus und belehrt ihn über das Samsara des Diesseits. Diese Hälfte darf stolz sein auf ihre eigene Wahrheit, sie hat die Welt des hohlen Scheins verstanden, ist sich die eigene kalte Erleuchtung.
Wenn ich die Geisteswissenschaft kritisiere, dann darum, weil ich ihre Autonomie nicht akzeptiere und mich selbst nicht in zwei Wesen spalten möchte. Meine Natur ist es, mich mit den Gedanken zu identifizieren, die ich denke. Die Anwendung der wissenschaftlichen Philosophie auf die eigene Person bedeutet den Gang ins Nichts, ohne mitfühlenden Trost eines Buddhas, ohne Erlösung im Nirwana.
Umgekehrt kann man den Menschen nicht in seine Rechte einsetzen, wenn man nicht an seine metaphysische Grundlage glaubt. Der Mensch als Wert an sich kann sich nicht von der Evolution herleiten. Er braucht eine geistige Mitte, seine eigene Tiefe. Das heißt, er braucht eine Fundierung außerhalb von Raum und Zeit.
Die Wissenschaft kann und will das nicht bieten, darum bleibt es bei der schizophrenen geistigen Haltung des aufgeklärten Menschen. Meist werden die Folgen beider Modelle in sanfter Naivität ausgeblendet. Erstens ist das Nichts eine zu schroffe Vorstellung, zweitens die Religion intellektuell nicht en vogue. Der moderne Intellektuelle ist Agnostiker und, mit der gebotenen Ironie: Humanist. Er wagt sich weder in die eine noch in die andere Richtung weit genug vor.
Zu weit vorgewagt hat sich meines Erachtens der Glaube an die Wissenschaft, indem er die Grundlagen der Menschlichkeit angreift. Das tut er gerade wegen der wissenschaftlichen Autonomie, da diese dem Menschen den Anspruch auf Wahrheit nimmt. Wenn der Anspruch auf Wahrheit in die Wissenschaft verlagert wird, hat der Mensch kein Recht darauf.
Der Glaube an die wissenschaftliche Methode greift die menschliche Person an, ihre Beziehungen, ihre Gefühle, ihre Werte und Moral. Einerseits werden die persönlichen Eigenschaften des Menschen aus der Untersuchung herausgehalten, so dass sie nichts gelten, andererseits werden sie selbst zum Thema der Analyse, also auf ihre Bestandteile zurückgeführt. Damit sind sie nicht mehr gesetzt, wie es die Menschenrechte formulieren, sondern sie werden erst ignoriert und dann zerlegt. Der Mensch wird ein Produkt seiner Umwelt, seiner Zeit, seiner Geschichte, seiner physischen und biologischen Struktur, seiner Stellung im Tierreich.
Ein Produkt trägt kein Maß in sich, sondern ist nach bestimmte Vorgaben und Maßen gestaltet. Der Mensch verliert also seine Maßgeblichkeit. Das neue Maß müsste die Wissenschaft geben, aber das kann sie nicht, ohne zur werthaltigen, idealistischen Lehre, sprich Religion zu werden. Also bleibt es beim Skeptizismus.
Eine Wissenschaft ohne Angriff auf die Menschenwürde bräuchte eine Begrenzung. Wo liegt die Grenze zwischen guter und schlechter Wissenschaft oder zwischen Wissenschaft als Interesse an der Sache und Wissenschaft als inhumaner Ausdruck eines wissenschaftlichen Weltbildes?
Meines Erachtens liegt sie zwischen Natur- und Geisteswissenschaft. Die Naturwissenschaft beschäftigt sich mit der Natur, das kann so bleiben, insofern klar ist, dass der Mensch mehr ist als im wissenschaftlichen Weltbild. Dafür braucht es einen Schutzraum vor der Wissenschaft, eine Tabuzone. Die geistige Mitte, der existentielle Wert, das Menschenrecht müssen geschützt werden.
Die wissenschaftliche Methode soll und kann nicht auf den geistigen Bereich des Menschen angewendet werden, weil man dadurch das Subjekt zum Objekt macht und degradiert. Tut man es doch, führt dies zur schizophrenen Haltung des modernen Menschen. Es führt zur tötenden Wirkung durch die „Eisdusche“ der Wissenschaft. Es führt zur Abschreckung und Einschränkung, anstatt zur Förderung der geistigen Beschäftigung.
Die Geisteswissenschaft plündert den geistigen Bereich. Sie nennt sich Wissenschaft, weil sie den Geist wie einen Körper behandelt, wie eine raumzeitliche Erscheinung mit Struktur und Bausteinen. Dadurch greift sie in die Identität des Menschen und zerpflückt sie. Sie verletzt Glaubensvorstellungen, die persönliche Bedeutung von Kunst und Literatur, das Heimatgefühl in Sprache. Sie raubt dem Geist seine Beziehung.
Das betrifft wohlgemerkt alle Geisteswissenschaft, weil sie auf Objektivität (Sachlichkeit) und methodisches Vorgehen (Begriffe, Belege) gegründet ist. Die Versuche, das Subjekt zu re-etablieren oder humanistische Werte einzubeziehen, sind durch die wissenschaftliche Argumentation ausgehöhlt, sofern sie je ernst gemeint waren.
Geisteswissenschaft ist morphologisch nur Wissenschaftssprache. Anders als die Naturwissenschaft verfügt sie nicht über eine phänomenologische Seite, kann nicht sinnlich erfahrbar werden, um ihre Gedanken zu belegen. Man kann nur Texte nebeneinanderlegen. Das allein reicht schon aus, um ihr die Wissenschaftlichkeit abzusprechen. Ihre Muster können nie bewiesen werden.
Als reine Philosophie hat sie versucht in der Sprache, ihrem einzigen Medium, die Wissenschaft unterzubringen, und die Sprache nach ihrem philosophischen Vorhaben gestaltet. Wir sehen gebrochenes Erdreich vor uns, die nominalen Klötze, die blinden Fremdwortsteine, die langen Ackerfurchen der wissenschaftlichen Syntax. Wer sie aufnehmen will, muss Erde fressen.
Die Geisteswissenschaft zeigt in ihren sprachlichen Konstruktionen, wie sie den Geist versteht, ihre Begriffe gelten zugleich als Vorstellung und Beleg. Das ist aber weder Geist noch Wissenschaft, sondern eine absurde Idee der materiellen Verhaftung. Wer diese Vorstellung glaubt oder, wie jeder Studierende, praktizieren muss, der erlebt einen Tod.
Korrespondierend zur tödlichen Schwere, die die Psyche trifft, gibt es keinen seelischen Nährwert in dieser Sprache. Es fehlt die Bewegung, das fließende Wasser, der Sinntransport. So kommt aus der Geisteswissenschaft nichts in der Gesellschaft an, weil sie nicht gehaltvoll ist. Keinen interessiert es, keiner kann geisteswissenschaftliche Erkenntnisse verwerten.
Die Geisteswissenschaft lebt von ihrem kulturellen Nimbus, da Wissenschaft als wahr gilt. Sie lebt von ihrer Einbindung ins Bildungssystem. Dabei bildet sie den Menschen nicht, sondern sie entbildlicht ihn, sie entgeistigt ihn. Diese Bildung ist falsch.
Geben wir dem Menschen also seinen Geist zurück! Richten wir die Bildung auf die menschliche Mitte aus! Nehmen wir der Wissenschaft dieses Thema! Mit dem Geist des Menschen kann man sich nur als Mensch beschäftigen. Lernen wir von den angelsächsischen Ländern, wo die Geisteswissenschaften „Humanities“ heißen. Fort mit der wissenschaftlichen Methode! Her mit der persönlichen Lehre!
1 Gedanke zu „Ausdruck einer schizophrenen Weltanschauung“