Der versoffene Gourmet

Kaum ist von Charles Bukowski und seinem Werk die Rede, kommen sogleich die großen Themenkomplexe „Pferderennen“, „Ficken“ und „Saufen“ auf den Tisch. Aufmerksame Leser schenken allerdings auch der Zufuhr fester Nahrung in Bukowskis Prosa und Lyrik Beachtung, denn da wird weitmehr geboten, als man auf den ersten Blick erwartet.

„KEIN ESSEN MEHR FÜR HENRY CHINASKI!“
– aus „Faktotum“

von Michael Helming, 20.12.2010, 15:13 Uhr (Neues Zeitalter)

Literarisch hält immer noch so mancher ihn für harte Kost, obwohl es inzwischen Autoren gibt, die ihre Leser bedeutend drastischer in den Alltagssumpf schubsen als ausgerechnet er, der deutschstämmige US-Dichter mit dem verschmitzt-verbrauchten Gesicht. Sein Stil bleibt trotz einiger Nachahmer unverwechselbar, selbst über fünfzehn Jahre nach seinem Tod. Den Ruf eines höflichen Gastrosophen oder Experten für gediegene Lebensart genoss er nie, wobei er auf solche Ehren wohl auch geschissen hätte. Seine Art ist selbstironisch und von spröder Einfachheit. Er beschreibt monotone Lebensroutine und Grundbedürfnisse wie Rausch und Ruhe: Gib mir mal ´ne Zigarette. Steig von meinem Schwanz runter. Hol´ mir ´n Bier. Halt die Fresse. Lass mich schlafen.

Essen ist bekanntlich ebenfalls ein Grundbedürfnis und wer glaubt, Bukowski vernachlässige ausgerechnet die Proviantfrage in seinem Werk oder klammere sie gar aus, der sieht sich durch eine laute Übermacht von Sauf- und Fickepisoden getäuscht. In Büchern wie im Leben steht Essen für ein Stück dramatische Wirklichkeit. Nahrung gibt dem Menschen nicht einfach nur Kraft, er muss irgendwann etwas essen. Eine Mahlzeit kann Ritual sein, Ausdruck von Hierarchien, Macht oder Einsamkeit. Gerichte können Erinnerungen wecken, Ekel und Abscheu erregen oder den Himmel auf Erden bedeuten. Der Ausspruch „Das Auge isst mit.“ gilt im doppelten Sinne, wenn ein Text vom Essen handelt.

„Hacksteak mit Zwiebeln und Bohnen“ gibt es an einer Stelle des Romans „Faktotum“ für Essensmarken, und der Autor lässt sich sogleich über Details des Menüs aus: „Zum Brot gab es keine Butter, aber der Kaffee war gut.“ Manchmal zwar setzen seine oft deutlich autobiographisch gefärbten Figuren ihre Essensgutscheine lieber in Bier um, wie im Roman „Kaputt in Hollywood“, und sowieso sind sie meistens besoffen „wie ein Stinktier im Fegefeuer“ („Der Mann mit der Ledertasche“). Doch man kann nicht behaupten, die Qualität ihrer Speisen sei ihnen grundsätzlich egal. Wo ein Bier immer ein Bier bleibt und auch beim Whisky zwar die Flaschengröße, seltener die Marke und eigentlich nie Details über den Geschmack eine Rolle spielen, da geht es beim Essen manchmal auffallend detailliert und differenziert zu. Auch das Ambiente ist dabei von Bedeutung: „Die Abende verliefen alle etwa gleich. Ich fuhr die Küste entlang und suchte mir ein Lokal zum Abendessen. Ich wollte ein teures Restaurant, das nicht zu voll war. Ich hatte inzwischen einen sechsten Sinn dafür. Ich brauchte sie nur von außen anzusehen und wußte Bescheid. Man bekam nicht immer einen Tisch mit direktem Blick zum Ozean, es sei denn, man war bereit zu warten.“ So nachzulesen in Bukowskis Briefträgeranekdoten („Der Mann mit der Ledertasche“), und er sagt uns auch, was er in solchen Restaurants zu dinieren pflegt: „Ich bestellte immer eine kleine Salatplatte und ein großes Steak.“

In der Erzählung „Das Leben eines Penners“ nimmt Harry im Groton Steak-House ein „Porterhouse-Steak, halb durch, mit Fritten“ zu sich. Mal verputzt man „Rührei und Orangensaft“ („Deine Anica“) und mal „ein Hot Dog für acht Cents und einen großen Humpen Malzbier für fünf“ („Die Stripperinnen vom Burbank“). Als ein Steak mit Fritten und Tomatenscheiben („Ein teuflischer Weiberheld“) kredenzt wird, stellt sich die bange Frage: „Hast du hier irgendwo Ketchup?“

Mit aufschlussreichen Betrachtungen über Bukowskis Ernährungsgewohnheiten könnte man bereits in seiner Kindheit beginnen, wie er sie in „Das Schlimmste kommt noch oder fast eine Jugend“ schildert: „Essen schien sehr wichtig zu sein. Wir aßen Kartoffelbrei mit Soße, vor allem sonntags. Wir aßen auch Rinderbraten, Knackwurst und Sauerkraut, Erbsen, Rhabarber, Möhren, Spinat, grüne Bohnen, Huhn, Fleischklößchen und Spaghetti, manchmal auch Ravioli, gedünstete Zwiebeln und Spargel, und jeden Sonntag gab es Erdbeerkuchen mit Vanille-Eis. Das Frühstück bestand aus Toastbrot und Wurst, oder es gab Waffeln oder warme Semmeln mit Rührei und Schinken. Und zu jedem Essen kam Kaffee auf den Tisch. Doch am besten ist mir der Kartoffelbrei mit Soße in Erinnerung geblieben und wie meine Großmutter sagte: Ich werde euch alle überleben.“ Im Hause Bukowski wurde nicht gehungert und gemeinsames Schmausen hatte in der Familie für drei Generationen eine verbindende Funktion.

Helming: Gläser

Photo: Michael Helming

Das Frühstück wird als essentielle Mahlzeit bemerkenswert oft erwähnt. So vertilgt man im Roman „Faktotum“ gleich im zweiten Kapitel „für wenig Geld ein großes Frühstück – warme Semmeln, Maisgrütze, Wurst.“ Im dreizehnten Kapitel wird dann am Pazifik gefrühstückt und man hört beim Futtern die Brandung. Selbst der Knast ist nur halb so schlimm, wenn das Frühstücksbuffet in Ordnung geht: „Am nächsten Morgen gabs Grapefruit, Eier mit Schinken und Kartoffeln. Kaffee und Brot. Grapefruit? Dieser Knast hatte Klasse. Yeah.“ („Kaputt in Hollywood“) Während im ersten Teil von „Der Mann mit der Ledertasche“ lediglich „eine Flasche Whisky, Marke Grandad, zum Frühstück“ gereicht wird, genießt Bukowski vor dem ersten Pferderennen im zweiten Teil des Romans „in aller Ruhe ein paar Eier und eine Tasse Kaffee“. Im Gedicht „Die Tretmühle“ findet sich folgende Passage: „Aber am Frühstückstisch / sitzen sich zwei Fremde gegenüber, / schieben sich Toast in den Mund / und gießen sich heißen Kaffee / in den Bauch.“ Und die Lyriksammlung „Gedichte, die einer schrieb, bevor er im 8. Stockwerk aus dem Fenster sprang“ wartet mit dem Text „Ein Tag im Leben des C. B.“ auf, in dem es heißt: „…ich schlug mir / ein paar Eier in die Pfanne, machte mir einen Tee und / aß ein Stück Brot dazu. / Ich fühlte mich gut.“

Gut fühlt sich Bukowski nicht immer. So berichtet er in „Faktotum“ außerdem, was es für einen unbekannten Schriftsteller bedeuten kann, wenn Schmalhans den Küchenmeister spielt: „Ich erinnere mich an meine Zeit in New Orleans, als ich mich oft von zwei Schokoladenriegeln ernährte, das Stück zu 5 Cents, nur um schreiben zu können und nicht arbeiten zu müssen. Doch hungern hatte bedauerlicherweise nicht zur Folge, daß man besser schrieb. Eher schlechter. Die Seele eines Mannes bezog ihre Energie aus seinem Bauch. Nach einem Porterhouse-Steak und einer Flasche Whisky konnte ein Mann viel besser schreiben als nach einem Schokoladenriegel für 5 Cents. Der Mythos vom hungerleidenden Künstler war ein Schwindel.“ An anderer Stelle regt er sich über vergammelte Lebensmittel auf: „Das Brot war grün und verschimmelt und roch äußerst sauer. Wie kamen die dazu, solches Brot zu verkaufen?“

Keine Frage. Frisch zubereitete und zudem handfeste Kost wird eindeutig bevorzugt: Steak, Burger mit Zwiebeln, Beefsteak, Roastbeef-Sandwich, Pommes oder Brathähnchen. „Faktotum“ tischt zudem unter anderem „geräucherte Häppchen, Chips und hartgekochte Eier“ (Kapitel 11) auf. An gebratenen Hühnern darf sich im Gedicht „Ein Pechvogel“ sogar ein Mann zu Grunde richten. Er überfrisst sich an Brathähnchen, „nachdem seine Frau zur Arbeit gegangen war“. Begründung: „…eigentlich hatte er Angst vor / Pussy.“ Und das klägliche Ende vom Lied: „Jetzt wohnt er wieder bei seiner / Mutter. Er wiegt 310 Pfund und / ißt die ganze Zeit / und lacht die ganze Zeit, / aber seine Augen sind kaum noch / zu sehen, in diesem Klumpen Fleisch… / Ich hab sie geliebt, sagt er / zu mir, mit einem Hähnchen- / Schlegel zwischen den Zähnen. / Ich hab sie geliebt.“

Dass Frauen bei Bukowski nicht selten eine wichtige und „fleischliche“ Rolle spielen ist bekannt. Wenn es dauerhaft weder mit den Frauen, noch mit dem Essen zufriedenstellend läuft, dann ist was faul: „Ich kriegte jahrelang keine Frau, ich lebte von Erdnußbutter und altbackenem Brot und Pellkartoffeln.“ („Die Wahrheit über den Tod von Dylan Thomas“) Es geht jedoch auch anders, so einmal mehr in „Faktotum“: „Grace machte inzwischen Roastbeef-Sandwiches für uns alle. Ich stieg aus der Koje, und wir aßen Roastbeef-Sandwiches, Kartoffelsalat und Tomatenscheiben, und anschließend gabs Kaffee und Apfelkuchen. Wir waren alle hungrig.“

Wenn ein Mann eine Frau wirklich liebt, dann beweist er das auch, indem er für sie kocht:“Endlich bekam ich einen Tag frei und wissen Sie, was ich tat? Ich stand früh auf, noch bevor Joyce zurückkam, und ging hinunter zum Lebensmittelgeschäft, um ein wenig einzukaufen, und vielleicht war ich verrückt. Ich ging durch den Laden, und anstatt ein schönes rotes Steak oder gar ein Brathähnchen zu kaufen, hatte ich plötzlich eine Idee. Ich ging hinüber in die orientalische Abteilung und fing an, meinen Korb mit Kraken, Seeschlangen, Schnecken, Seetang und so fort zu füllen. Der Mann an der Kasse schaute mich komisch an und begann zu addieren. Als Joyce an dem Abend nach Hause kam, hatte ich alles auf dem Tisch, säuberlich zubereitet. Gekochter Seetang mit Spinnenkrabbe gemischt, und ganze Haufen goldener, in Butter gebratener Schnecken.“ Leider misslingt dieser amourös-kulinarische Clou in „Der Mann mit der Ledertasche“ gewaltig, da Joyces´ Magen sich als intolerant gegenüber Frutti di Mare erweist. Kaum hat sie ein paar Bissen probiert, muss sie sich übergeben, was den unglücklichen Koch in miese Laune versetzt.

Bukowski selbst kann seinen Mageninhalt auch nicht immer bei sich behalten. Nach einem Besuch in einem italienischen Restaurant kotzt er schlechten Rotwein, Salat, Suppe und Ravioli aus und erklärt lapidar: „Ich kotze immer vor einer Lesung.“ („Die Wahrheit über den Tod von Dylan Thomas“) Bei der Gelegenheit erzählt er gleich noch die alte Schote, wie John Cage mal tausend Dollar bei einem Kurzauftritt verdient haben soll, indem er die Bühne betrat, dort einen Apfel aß und gleich wieder abging. Dies rechtfertige, so schätzt Bukowski, dass er selbst sich im Verlaufe einer Lesung „ein paar Biere“ leistet. Menschen und ihre Macken können mitunter seltsam sein. Der Roman „Kaputt in Hollywood“ überliefert diesbezüglich einen ganz speziellen Fall, in dem ein Mann sexuell auch auf Lebensmittel abzufahren scheint: „Ich kannte mal einen Typ, der tat sich rohe Leber in ein Longdrink-Glas, und das hat er dann gepimpert.“

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Lichtwolf Nr. 32

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